Zwei junge Männer helfen bei der GPS geflüchtete Kinder mit Behinderungen aus der Ukraine.

Neues bei der GPS

Schnelle Hilfe für geflüchtete Kinder mit Behinderung

Alex Herbst und Nikolai Rorberg helfen unbürokratisch und ohne Sprachbarriere

Die Soforthilfestelle der GPS ist über die „Aktion Mensch“ gefördert. Die beiden Studenten helfen Familien, in Wilhelmshaven anzukommen. Die größte Schwierigkeit: Die Diagnose des Kindes übersetzen zu lassen.
Zwei junge Männer helfen bei der GPS geflüchtete Kinder mit Behinderungen aus der Ukraine.
Alex Herbst (links) und Nikolai Rorberg helfen geflüchteten Familien aus der Ukraine.

Es war der 24. Februar 2022, die Klausuren-Phase war gerade vorbei. Wie so viele schaute Alex Herbst am Morgen auf sein Handy und war fassungslos: Russland hatte in der Nacht die Ukraine angegriffen. Wie sehr dieser Krieg auch das Leben des Studenten verändern würde, ahnte der 27-Jährige an diesem Tag noch nicht.

Alex Herbst stammt aus der Südukraine, zog im Jahr 2002 zu seiner Mutter und seinem Stiefvater nach Deutschland. Jeden Sommer verbrachte er seitdem seinen Urlaub in der alten Heimat, besuchte Familie und Freunde. Nun galt es plötzlich, eine Reise in die andere Richtung zu organisieren: Seine Tante, ihre Kinder und die Ehefrau seines ältesten Cousins flohen vor dem Krieg nach Wilhelmshaven. Alex Herbst kümmerte sich um sie, übersetzte, fand heraus, wer wofür zuständig ist.

Zur gleichen Zeit wurde Nikolai Rorberg bei der GPS Wilhelmshaven ein Job angeboten. Ein Jahr hatte er als Werkstudent bereits dort gearbeitet, nun suchte der Träger für ein von der „Aktion Mensch“ gefördertes Projekt einen russischsprachigen Mitarbeiter. Gegründet werden sollte eine Soforthilfestelle für Menschen und vor allem Kindern mit Behinderungen, die aus der Ukraine nach Deutschland fliehen mussten.

Die wichtigste Frage: Wo ist das Krankenhaus?

Nikolai Rorberg kam als kleines Kind aus Kasachstan nach Deutschland. Sein Russisch war ein wenig eingerostet, die Verständigung klappte aber auf Anhieb. „98 Prozent der Ukrainer sprechen Russisch“, erklärt er. Der Unterschied zum Ukrainischen sei vergleichbar mit dem zwischen Hochdeutsch und Bayerisch. Für den 28-Jährigen war sofort klar, dass er für die Soforthilfestelle arbeiten möchte. Doch Vollzeit, das war neben seinem Studium schlicht nicht zu stemmen. Da kam ihm Alex Herbst in den Sinn, der all die Hürden, vor denen die Geflüchteten standen, bereits mit seiner Familie bewältigt hatte.

Seit Juni teilen sich die beiden nun die Aufgaben in der Soforthilfestelle. Für die Wirtschaftsstudenten war die Arbeit mit den Geflüchteten Neuland, vielleicht ist ihnen auch deshalb die erste Familie, die ihre Hilfe brauchte, besonders in Erinnerung geblieben. Die Mutter war mit ihrer Tochter nach Deutschland gekommen, das Mädchen hat eine geistige Behinderung. Die beiden wurden vom Flüchtlingslager an die Soforthilfe vermitteln, waren froh und dankbar, in ihrer Sprache über das Erlebte und die kommende Zeit reden zu können. Alex Herbst und Nikolai Rorberg erklärten den beiden, wo sie in Wilhelmshaven alles finden, was sie brauchen, wo sie einkaufen können, wo das Krankenhaus ist. „Das ist für Eltern von Kindern mit Behinderungen immer die wichtigste Frage“, sagt Alex Herbst.

Ohne Diagnose auf Deutsch gibt es keine Hilfe

Sind diese Grundlagen geklärt, kommen die Schwierigkeiten: Um Hilfen zu bekommen, braucht die Familie die Diagnosen des Kindes in deutscher Sprache. Übersetzer gibt es aber kaum. „Das muss ein Mediziner machen, die Behörden halten dafür niemanden vor“, sagt Alex Herbst. Die beiden arbeiten eng mit einer Kinderärztin in Bremen zusammen, die den Familien aus Kulanz hilft.

Wäre diese Ärztin nicht, müssten viele Diagnosen neu gestellt werden. Die Wartezeiten dafür sind aber unglaublich lang. „Wir bekommen Termine angeboten, auf die wir ein halbes Jahr warten müssen. So lange können die Kinder aber nicht auf Hilfe verzichten.“ So braucht es etwa für die Anmeldung an einer Förderschule eine Diagnose in deutscher Sprache – solange die nicht vorliegt, muss das Kind zuhause bleiben.

Mit der Zeit haben sich die beiden ein gutes Netzwerk aufgebaut, wissen, wen sie ansprechen müssen und wie sie am besten einen Weg finden, um zu helfen. Doch der ist manchmal lang. „Wir arbeiten vor allem mit den Angehörigen zusammen, nicht mit den Kindern“, erzählt Alex Herbst. Die Mütter seien sehr engagiert, lieferten schnell alles, was gebraucht werde. Aber sie seien auch in Sorge, die Wartezeiten auszuhalten sei für sie manchmal schwer. Alex Herbst und Nikolai Rorberg können dann unbürokratisch zumindest für kleine Abhilfen sorgen, etwa einen Mixer kaufen, wenn die Kinder nur zerkleinerte Nahrung zu sich nehmen können, oder Bettgitter besorgen, damit niemand aus dem Bett fällt. Manchmal sorgen sie auch einfach für ein kleines Glücksgefühl, kaufen beispielsweise Geburtstagsgeschenke für die Kinder und ihre Geschwister.

Förderung der "Aktion Mensch" läuft aus

20 Familien haben die Zwei bisher betreut, zehn davon sind mittlerweile gut angekommen, zehn begleitet die Soforthilfestelle aktuell. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Belange des behinderten Kindes, Hilfe gibt es aber natürlich auch für die Geschwister. „Da sind die Dinge aber meist recht schnell geklärt, die Kinder schnell an der Schule oder im Kindergarten angemeldet.“

Die weitere Arbeit mit den Familien ist zeitintensiv. Mit den beiden halben Stellen kommen Alex Herbst und Nikolai Rorberg längst nicht aus. „Aber wir lassen niemanden hängen, nur weil die Arbeitszeit abgelaufen ist“, sind sich beide einig. Trotzdem: Das Studium hat seit Juni gelitten. Beide arbeiten gerade an ihren Bachelorarbeiten, viel Zeit bleibt dafür nicht.

Zum Ende des Jahres läuft die Förderung der „Aktion Mensch“ für die Soforthilfestelle aus. Für die beiden steht fest, dass sie dem sozialen Bereich auch danach treu bleiben möchten. „Es ist schön zu sehen, dass die Familien etwas von unserer Arbeit haben“, sagt Alex Herbst. „Wenn wir am Ende mit ihnen beim Kaffee zusammensitzen und ihren Dank spüren, dann ist das so viel mehr wert als die Anerkennung eines Geschäftsführers, dessen Zahlen Du verbessert hast.“

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